Autor: Steffen Heidrich
Eine akteurstheoretische Überlegung in der Transformationsforschung sagt, dass nur Akteur_innen für Veränderungen relevant sind, weil die träge und passive Masse die Bedingungen hinnimmt, wie sie sind und sich verändern. Engagierte Menschen führen daher seit langer Zeit einen Kampf um Aufmerksamkeit für die Veränderungen, die manchmal so langsam und schleichend vor sich gehen, dass sie schlicht erst bemerkt werden, wenn sie sich manifestiert haben. Insofern brachte mir das Stadtcamp die erste Überraschung.
Als Mitorganisator und gleichzeitig Barcampneuling, der sich mit allen Zeitreserven in das Projekt hineinstürzte, hatte ich die größte Sorge, dass das Konzept nicht angenommen werden würde, dass wenige Sessionleiter_innen ein größtenteils passives Publikum bespielen würde. Schon die Sessionplanung zeigte, dass ich Unrecht hatte. Viele spontane Vorschläge wurden am Mikrofon mit dem Hinweis angekündigt, dass vorhergehende Bemerkungen die Idee entstehen ließen. Wenn sich Passivität immer so schnell in Aktivität verwandeln würden, dann wäre Dresden nicht durch einen trägen und noch zu selten im Interesse der Bewohner_innen handelnden Verwaltungsapparat dominiert, sondern von Menschen, die sich auch über Normen, Richtlinien und Verwaltungsakte hinweg für eine dynamische, lebens- und liebenswerte Stadt einsetzen würden.
Das dem nicht so ist, zeigt auch die Kanten des ersten Stadtcamps auf. Die Teilnehmer_innen waren alle engagierte Ehrenamtliche. Bis auf einen Stadtrat glänzte die administrative Ebene mit Abwesenheit. Das mag einerseits der Kurzfristigkeit der Vorbereitung geschuldet sein, zeigt aber andererseits auch die Grenzen auf, die mangelndes Interesse und starre Institutionen schaffen. So blieb es beim Austausch von Menschen, die sich für Non-Profit-Projekte, Freiräume, Stadtteilgestaltung und eine ökologische Werterhaltung interessierten. Das dieser teilweise sehr diskussionslastig war und weniger geprägt von sehr konkreten Inputs, vielleicht manchmal auch den roten Faden verlor, scheint mir im Nachhinein sowohl eine Schwäche als auch eine Stärke des ersten Stadtcamps zu sein. Dadurch ergaben sich Räume zum Kennenlernen, zum voneinander Lernen, schließlich auch zur gemeinsamen Utopie. Insofern entwickelte sich das Stadtcamp definitiv zu einer Austauschplattform einer heterogenen, aber in sich stimmigen Interessengruppe. Andere Gruppen fehlten dagegen: Unternehmer_innen, Stadtverwaltung, Universität oder auch nur die Landeszentrale für politische Bildung. Ihre Perspektiven wären genauso von Nutzen gewesen. Auch das niemand eine migrantische Perspektive auf die Stadtentwicklung einbrachte, fand ich bedauerlich, wäre dies doch ein wichtiger Punkt gesellschaftlicher Überlegungen in einer allzu oft als homogen weiß wahrgenommenen Stadt Dresden, in der Ressentiments gegenüber zunächst fremd erscheinende Menschen an der Tagesordnung sind.
Darüber hinaus jedoch zog mich das Stadtcamp in seinen Bann. Die Dynamik der Gespräche nahm für mich beeindruckende Formen an. Das Gelände des zum 30. Juni 2013 gekündigten Freiraum Elbtal bot hervorragende Rahmenbedingungen, unterstützte durch seine freie künstlerische Aura auf ganz eigene Weise und passte damit zum vitalen Charakter des Stadtcamps. Es ist bedauerlich, dass ein künftiges Stadtcamp voraussichtlich nicht mehr an diesem wundervollen Ort stattfinden wird, sondern sich alternative Räume suchen muss. Gerade den Menschen, die das Elbbiotop durch das Stadtcamp das erste Mal in intensiver Form kennenlernten, konnte mensch die Faszination vom Gesicht ablesen. Vielleicht bieten sich dadurch aber auch Möglichkeiten, denn viel mehr Teilnehmer_innen hätten das Stadtcamp im Freiraum Elbtal wohl überladen. Der Kampf um den Erhalt des Geländes oder wenigstens der gewachsenen Gemeinschaft an der Elbe wird so oder so an anderer Stelle geführt werden (müssen).
Das Stadtcamp ist für mich ein neuer Baustein in der Vernetzung von gesellschaftlich aktiven Initiativen, eine neue Lern-, Austausch- und Handlungsplattform, die ab jetzt mit Regelmäßigkeit wiederholt werden sollte. Es ermöglicht den Blick über den Tellerrand des eigenen Handelns, verknüpft Erfahrungen, die auf ganz verschiedenen Ebenen gemacht wurden, bietet eine angenehme Form des wirkenden Miteinanders und ist als solches eine absolut lohnenswerte Initiative.